Industrie bereitet sich auf Mangellagen vor
Sie ist ein neuer Begriff im Wortschatz der Schweiz: die Mangellage. Um das Wort kommt keine Person mehr herum, die Medien konsumiert. Grosse Fragen stellen sich: Werden wir im Winter genügend Strom haben? Können wir noch Gasheizungen betreiben? Muss die Industrie ihre Produktion einschränken? Bedroht der Energiemangel unsere Unternehmen? Gibt es Produktionsstopps? Die Mitgliederfirmen der Bülacher Industrien beurteilen die aktuelle Lage und die akuten oder drohenden Mangellagen.
Vetropack legt Wert auf Nachhaltigkeit und sorgsamen Umgang mit den Ressourcen im neuen Werk in Boffalora sopra Ticino nahe Mailand.
Baltensperger AG:
Existenzieller Strom, Materialengpässe
Der Bundesrat erlässt Grundsätze zum Energiesparen. Gleichzeitig werden Elektroautos gepusht und energiefressende Datencenter erstellt. Doch niemand fragt, wie das aufgehen soll. Mit Solarenergie oder Billigstrom lassen sich unsere Stauseen über Nacht nicht füllen. Die Industrie ist gefährdet, der Strom ist existenziell. Die Stromkosten der Baltensperger AG werden gemäss Prognosen um ein Vielfaches ansteigen. Der Materialengpass, hervorgerufen durch den Ukrainekrieg, ist noch immer massiv spürbar. Die Qualitätsvielfalt ist wie weggeblasen; man nimmt, was erhältlich ist. Projekte lassen sich längst nicht mehr wie gewohnt fliessend organisieren.
Als weiteres Problem erweist sich der Fachkräftemangel. Der Wert einer Firma spiegelt sich in den Fachkräften. Doch wenn die Popularität der handwerklichen Arbeit stetig abnimmt, ist es schwierig, geeignete Lehrlinge zu finden und auszubilden. Es benötigt eine innovative, optimistische Ausrichtung, um dem entgegenzuwirken.
Ein Mitarbeiter von BMU Access nimmt eine Fassadenbefahranlage auf dem Migros-Gebäude in Lugano in Betrieb.
BMU Access GmbH:
Stark reduzierte Verfügbarkeit von Bauteilen
Die BMU Access GmbH hat seit Beginn des Kriegsausbruchs Schwierigkeiten, gewisse Bauteile zu erhalten. Für seine Fassadenbefahranlagen benötigt das Unternehmen Steuerungskomponenten, die es durch Lieferanten aus Fernost bezieht, Platinen und weitere Bauteile. Die Verfügbarkeit dieser Bestandteile ist seit Ausbruch des Kriegs stark reduziert, was die Lieferzeiten und Installationstermine der Produkte negativ beeinflusst.
Gemäss der Rückmeldung verschiedener Lieferanten ist jedoch mit einer Verbesserung der Verfügbarkeit zu rechnen. Das stimmt BMU Access zuversichtlich, dass sie die Lieferzeiten der Anlagen bald wieder auf den Stand von vor dem Ukrainekrieg verkürzen kann.
Installation eines feuerverzinkten mageba TENSA®MODULAR Fahrbahnübergangs auf der Autobahn N9 im Oberwallis beim Anschluss Raron.
Mageba SA:
Oberstes Ziel: Termingerechte Lieferungen
Der weltweite Markt ist seit dem Ausbruch von Covid angespannt. Andauernde und zusätzliche Lockdowns in China wirken sich stark auf die Materialbewegung aus und verknappen den Materialfluss in der ganzen Industrie. Zusätzlich haben der Krieg in der Ukraine und insbesondere die Stilllegung zweier Anlagen der ukrainischen Metinvest-Gruppe – einem der grössten Stahlproduzenten Europas – die Situation weiter verschärft. Das wirkt sich auf den ganzen Stahlmarkt in Europa aus und führt zu einer weiteren Materialverknappung.
«Die Mageba SA steht mit ihren langjährigen Partnern in engem Dialog und verfolgt die Marktgeschehnisse sowie die politische Lage aufmerksam. Unser oberstes Ziel ist die Materialverfügbarkeit zu gewährleisten und die Kunden weiterhin mit dem gewohnt hohen Qualitätsstandard termingerecht zu beliefern», so Mato Bicvic, Head of Procurement der Mageba SA.
Oertli Werkzeuge AG:
Noch sind die Auftragsbücher voll
Klimawandel, Ressourcenverknappung, Corona und die Veränderung der Weltordnung infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine gehen allen nahe. Neben dem unermesslichen Leid verursachen die wirtschaftlichen Einschnitte dramatische Schäden. Unmittelbare Auswirkungen sind die rasanten Preissteigerungen, nicht selten im dreistelligen Prozentbereich bei Energie, Metallen und Transportkosten. Zusätzlich: fehlende Rohstoffe, fast täglich ändernde Preise, unterbrochene Lieferketten, Stillstand auf Baustellen usw. Unsicherheit – das ist der zentrale und noch eher milde Begriff, mit dem sich die derzeitige Lage in der Wirtschaft zusammenfassen lässt. Zinssteigerungen, damit verbundene Währungsverschiebungen und hohe Inflationsraten fordern die Industrie weiter heraus.
Noch wird gearbeitet, noch sind die Auftragsbücher voll. Doch die Leistungserbringung wird immer schwieriger. Eines ist sicher: Die Erwartungen aller Marktteilnehmer schrauben sich gerade nach unten, auch wenn die Wirtschaftsforscher noch von Wachstum sprechen.
Eine neue Strahl-Anlage von Sablux für einen Schweizer Uhrenhersteller, die nur verspätet und mit grössten Schwierigkeiten fertiggestellt werden konnte.
Sablux Technik AG:
Dringend nötige Teile werden immer teurer
Auch die Sablux Technik AG kämpft mit Mangellagen. Aktuell sind Lieferungen über die bisherigen Wege zum Teil unterbrochen. Dringend benötigte Teile muss sie über Umwege zu deutlich höheren Preisen einkaufen. Konzerne halten sich nicht mehr an ihre Zusagen und verschieben Liefertermine in die weite Zukunft. Neueste Unart ist, auch die vereinbarten Lieferpreise nicht mehr einzuhalten. Viele Kunden zeigen zum Glück Verständnis für Verzögerungen, solange sie ihre eigene Produktion flexibel gestalten können. Doch wer rasch auf die Anlagen von Sablux angewiesen ist, hat grosse Probleme.
Wie es im Herbst und Winter aussehen wird, ist schwer vorherzusagen. Hoffentlich tritt kein Gas- und/oder Stromunterbruch ein. Die Preisspirale für die Energien wird sicherlich grosse Schäden in den Jahresrechnungen hinterlassen. Erschwert wird die Lage durch den sehr hohen Franken.
Vetropack legt Wert auf Nachhaltigkeit und sorgsamen Umgang mit den Ressourcen im neuen Werk in Boffalora sopra Ticino nahe Mailand.
Vetropack-Gruppe:
Direkt betroffen, verhaltener Optimismus
Die wirtschaftliche Situation ist geprägt durch die Folgen des Ukrainekriegs; auch die Pandemie ist nicht ausgestanden. Jüngste Untersuchungen im Werk in Gostomel bei Kiew ergaben, dass eine Wiederaufnahme der Produktion vorerst nicht möglich ist. Ein Team ist regelmässig vor Ort, um Instandhaltungs- und Aufräumarbeiten zu verrichten. Über eine eigens für sie eingerichtete Stiftung unterstützt Vetropack die Mitarbeitenden in der Ukraine; eine übergangsweise Verkleinerung der Belegschaft war jedoch nicht zu vermeiden.
Ganz anders die Lage in Italien, wo die Eröffnung des neuen Werks in Boffalora sopra Ticino nahe Mailand ansteht. Alle freuen sich darauf, diesen hochmodernen Vetropack-Standort in Betrieb zu nehmen. Trotz der schwierigen Lage – im Winter droht möglicherweise eine Energiekrise – hält Vetropack fest an der wirtschaftlichen Strategie und den ehrgeizigen Umweltzielen für 2030. Glas ist als nachhaltiges Verpackungsmaterial im Vorteil gegenüber den Alternativen – die Marktentwicklung der letzten Jahre bestätigt diesen Trend. Es gibt also durchaus Grund zu verhaltenem Optimismus.
Wiegand AG:
Flexible Arbeitszeitmodelle zum Abfedern
Eine drohende Mangellage bei der Energie hat die Wiegand AG dazu veranlasst, vorausschauend Überlegungen zu möglichen Massnahmen anzustellen. Die gute Nachricht für ihre Kunden ist, dass aufgrund der umfangreichen Lagerhaltung am Standort in Bülach kein Lieferengpass erwartet werden muss. Wiegand wäre hauptsächlich bei stundenweisen Netzabschaltungen im Verteilnetzgebiet von gewissen Produktionsausfällen betroffen. Solche Netzabschaltungen könnte das Unternehmen bei Bedarf mit flexiblen Arbeitszeitmodellen abfedern. Im Frühling 2023 wird zudem eine eigene PV-Anlage auf dem Gebäudedach installiert. Diese wurde schon vor der Krise geplant und deckt dann den Strom-Eigenverbrauch zu 100 Prozent.
Ein Notfallwagen von Wiegand «made in Bülach» steht bereit für die Auslieferung.
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